Sortiergebäude der AKS

Das Sortiergebäude der Kammgarn-Spinnerei Augsburg wurde 1889/90 von Jean Keller im Stil der Neorenaissance geplant. Das Gebäude befindet sich auf dem Areal der Kammgarn-Spinnerei im heutigen Textilviertel in Augsburg, leider hat es seit der Stilllegung der AKS keine Funktion mehr gefunden, bis es von uns als „virtueller Ausstellungsraum“ für die Hommage an Jean Keller ausgewählt wurde.

Die Geschichte der Kammgarn-Spinnerei Augsburg

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Der Aufstieg der Stadt Augsburg zu einer der führenden Textilmetropolen in Deutschland begann in den 1830er Jahren als die noch heute stadtprägenden Ensembles der Textilindustrie entstanden. Neben der Mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg (SWA) gehörte auch die Augsburger Kammgarnspinnerei zu den ersten Textilherstellern, die sich auf Grund der idealen Voraussetzungen zur Energiegewinnung durch das gute Wasserwegesystem in Augsburg ansiedelten.

Bereits im Jahr 1836 begann Johann Anton Friedrich Merz, der Gründer der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, mit seiner Fabrik von Nürnberg nach Augsburg zu ziehen und diese auszubauen. Jean Keller übernahm dabei eine bedeutende Rolle, da er viele Gebäude des Areals plante und mitgestaltete, wie die farbig angelegten Gebäude unten zeigen.

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1888

Mit dem Neuerwerb der »Rehßschen Sägemühle« (1) östlich des Schäfflerbachs im Jahr 1845 war die Grundlage für den Ausbau des Areals geschaffen. Im selben Jahr wurde die Mühle abgerissen und an derselben Stelle ein erster Spinnereihochbau (2) errichtet. Unmittelbar östlich entstanden mehrere Lagergebäude (3) (1845-1856) und das erste Kesselhaus (4) (1851). Im Süden erfolgte die Erweiterung des Areals durch den Kauf des ehemaligen »Fröhlich´schen Anwesens« (5).

1863 wurden der zweite Spinnereihochbau (6) und der Strecksaal (7) gebaut bis 1867 der großflächige Ausbau der Fabrik auch westlich des Schäfflerbachs startete und auch Jean Keller Aufträge erhielt. Beginnend mit den Direktorenvillen (8) (1969), von denen er die westlichste baute, plante er in den Jahren 1871-83 außerdem ein Verwaltungsgebäude (9) (1873), das Speisehaus (14) (1878), das Waschhaus (15) (1879) sowie das zweite Dampfmaschinenhaus mit zugehörigem Kesselhaus (13) (1883).

Weiter entstanden westlich des Schäfflerbachs Bauten für die Wäscherei (10) (1874), ein Färbereihochbau (1874), die Kämmerei (11), sowie ein Fabrikbad (1871), im Osten eine Dampfturbinenhalle (1870) und im Westen die Weberei (12) (1872).

1913

Nach 1888 erbaute Jean Keller das sogenannte Sortiergebäude (16) (1889) der Kammgarnspinnerei. Nördlich der Weberei wurde die Zwirnerei (17) (1889) errichtet und im Osten erweiterten zahlreiche An- und Erweiterungsbauten für den Spinnereihochbau, den Strecksaal (18) und die Kämmerei (18) den Bestand. Daraufhin folgte ein erster Baustopp, der durch das für die Wollindustrie katastrophale Krisenjahr 1900 hervorgerufen wurde.

Erst 1909 wurden die Baumaßnahmen fortgesetzt, indem der Kopfbau (19) (1909-1913) an der Provino-Straße ,ebenfalls von Jean Keller, errichtet wurde.

Durch den Bau der sogenannten Südwestsheds (20) (1912) und des unmittelbar angrenzenden großen Kessel- (1911) und Turbinenhauses (21) (1912) erfolgte auch im Westen die Erweiterung nach Süden.

Kriegsbedingt fand daraufhin allerdings erneut ein Stopp des Ausbaus der Augsburger Kammgarnspinnerei bis in die 1920er Jahre statt.

1936

Bis 1936 wurde das Speisehaus (14) von Jean Keller (1926) aufgestockt, der Strecksaal (22) erweitert und ein Kammzulager angebaut.

Das Bürogebäude (9) von Jean Keller wurde ebenfalls erweitert und auch das Sortiergebäude (16) erhielt eine Aufstockung und eine Erweiterung, allerdings war Jean Keller zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

Südlich davon wurde 1927 ein Wolllagerkeller an Stelle des alten Kesselhauses errichtet, der später als Werkstatt diente. Unmittelbar daneben wurde das bestehende Fabrikbad abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Im Westen des Areals wurde die Weberei (1932) erweitert (23) und ein neues Traffohaus (1920) gebaut. Außerdem folgte 1927 und 1935 der Bau von zwei Erweiterungen (24) des 1911 errichteten Kesselhauses in Richtung Süden, sowie der Westshed-Neubau (25) westlich der Südwestsheds (1933), der noch im selben Jahr eine Erweiterung erhielt.

1945

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kammgarn-Spinnerei stark beschädigt und der Großteil der Gebäude fiel Luftangriffen und damit verbundenen Bränden zum Opfer, wie die roten Gebäude rechts zeigen. Nur vereinzelt sind Gebäude und Teile von Gebäuden erhalten geblieben, sodass der älteste, östlich vom Schäfflerbach gelegene Teil des Areals auf Grund der starken Zerstörung als Baustofflager für den Wiederaufbau genutzt wurde. Erhalten blieben hier lediglich das Speisehaus (14) und das Waschhaus (15) von Jean Keller.

Westlich des Schäfflerbachs bildeten sich ähnliche Zerstörungen ab. Lediglich die beiden östlichen Direktorenvillen (8), sowie der von Jean Keller errichtete Dampfmaschinenhaus-Neubau von 1893 blieben nahezu unbeschädigt. Das Sortiergebäude (16) hingegen blieb nur in seinen Außenmauern weitgehend bestehen, während die gesamte innere Holzstruktur einschließlich des Daches abbrannte.
Im Westen blieb mit dem Kopfbau von Jean Keller im Norden (19), der Webereierweiterung (23) von 1932 und dem Kessel- und Turbinenhaus (21) (1911/12) inklusive der Erweiterungsbauten von 1927 und 1935 (24) ein deutlich größerer Teil des Altbestandes bestehen. Ebenfalls erhalten blieben hier die Westsheds (25).

1986

Durch das hohe Ansehen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei ging der Wiederaufbau bereits 1945 mit sofortigen Maßnahmen von statten. Neu aufgebaut wurden östlich des Schäfflerbachs das Pförtnerhaus mit eigener Betriebsfeuerwehr (26) (1952), sowie ein neues Verwaltungsgebäude (27) (1952) als Ersatz für das zerstörte Bürogebäude Jean Kellers.
Dieses wurde ersetzt durch ein neues Ballenlagerhaus (28)(1956), das unmittelbar an das Sortiergebäude angebaut wurde. Letzteres (16) bekam eine komplett neue Innenstruktur aus Stahlbeton (1947). Die Bauten unmittelbar südlich konnten wieder aufgebaut werden, wurden allerdings 1973 abgebrochen und durch Neubauten (27) ersetzt. Der Färbereibau von 1874 hingegen wurde gleich durch einen Neubau (1948) ersetzt und auch die Kämmerei (28) unmittelbar daneben wurden neu gebaut.
Im Westen wurde der Kopfbau (19) 1947 Instand gesetzt und die im Süden angrenzenden Nordwestsheds (29) (1952) neu errichtet. Hinzu kam hier der Neubau des Nordwest-Hochbaus (30) 1952 und der weiter südlich gelegenen Südwestsheds (31). In ungefähr diesem Zustand blieb das Areal der Kammgarn-Spinnerei bestehen, bis im Jahr 2004 die Produktion eingestellt werden musste.

Nutzung

Nach der Schur der Schafe wurden die abgeschorenen Wollvliese zu sogenannten Rohwolleballen von 200 – 300 kg verpackt, die dann vor dem Sortieren aus dem Lager geholt und ausgepackt werden mussten. Dieses Bild wurde allerdings vermutlich vor dem Nachbargebäude und nicht vor dem Sortiergebäude selbst aufgenommen, da die Farbigkeit der Fassade eher zum südlich gelegenen Dampfmaschinenhaus passt.

Wie der Name bereits andeutet, diente das Sortiergebäude der Kammgarn-Spinnerei dem Sortierprozess bei der Herstellung von Kammgarn. Hierbei wurden zuerst große, zusammenhängende Stücke der Schaffelle, sogenannte Vliese, ausgelegt und die durch Schmutz und Kot verhärteten Spitzen abgeschnitten. Durch Schlagen von sechs bis zehn übereinandergelegten Vliesen mit einem Stock fand eine grobe Reinigung von Sand und Staub, sowie eine erste Auflockerung der Wolle statt.

Im nächsten Schritt wurden die Vliese auf Sortiertischen ausgebreitet und nach den verschiedenen Körperteilen des Schafes getrennt und sortiert, um unterschiedliche Woll-Güteklassen herstellen zu können. Die aussortierten Feinheiten wurden zunächst in Zwischenlagern gestapelt, bis ausreichende Mengen vorhanden waren und sich die Verarbeitung lohnte. Der letzte Schritt war die Auflockerung der Wolle, damit große und fest zusammenhängende Stücke in kleinere Flocken zerteilt wurden, die dann einfacher und gründlicher gewaschen werden konnten.

Die Sortiertische in Sortiergebäuden waren meist so ausgebildet, dass die Tischplatten entweder durch Holzlatten oder starke Stricke eine Art Rost bildeten, damit der Schmutz durchfallen konnte und die guten Teile der Wolle auf den Tischen liegen blieben. Um die Tische wurden dann zwischen vier und acht Körbe gestellt, in welche die verschiedenen Wollpartien einsortiert wurden.

Dieses Bild wurde im Sortiergebäude der Augsburger Kammgarn-Spinnerei aufgenommen. Man sieht Frauen beim Sortieren der Wolle im aufgestockten Seitentrakt des Gebäudes, allerdings ist nicht klar, ob es sich um den nördlichen, oder den südlichen Trakt handelt. Besonders gut zu sehen ist hier die Verkleidung des Innenraumes, die heute kaum mehr zu erahnen ist.

Geschichte

ehemaliger Anbau des Ballenlagerhauses

Noch sehr gut zu erkennen ist der bis 2009 bestehende Anbau des Ballenlagerhauses an der Nordfassade, wie auf dem Bild unten zu erkennen ist. Die Fenster, die noch vom ursprünglichen Bau bestanden wurden vermauert, da sie nicht länger zur Belichtung genutzt werden konnten.

Die Ziegel der vermauerten Fenster über dem Eingangsportal sind noch deutlich schöner und besser erhalten als die der übrigen Fenster. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Fenster deutlich später geschlossen wurden, da der Anbau erst östlich des Portals begann.

Im 2. Obergeschoss sind auch deutlich die schwarzen Verfärbungen der Ziegel zu erkennen, die auf die ehemals angebrachten, hellen Fassadenplatten zurückzuführen sind.

Bereits vor dem Bau des Ballenlagerhauses bestand ungefähr an dieser Stelle ein Anbau des damals bestehenden Verwaltungsgebäudes von Jean Keller. Allerdings tangierte dieser Anbau das Sortiergebäude lediglich im 1. Obergeschoss und ließ im Erdgeschoss Raum für einen Durchgang zwischen den Gebäuden.

Anbauten im Süden

Auch die Südfassade des Sortiergebäudes zeigt zahlreiche Spuren der ehemals angebauten Nachbargebäude der verschiedenen Bauphasen. Rechts ist der Anbau des ehemaligen Fabrikbads zu erkennen, im Erdgeschoss zeigen sich noch die Reste der niedrigen Hallenbauten im Süden.

Eisenstützen

Diese Eisenstützen sind trotz der schweren Kriegsschäden erhalten geblieben. Unklar ist jedoch aus welcher Zeit diese stammen und ob sie tatsächlich noch Bestandteil der Planung von Jean Keller sind. Es besteht allerdings die Vermutung, dass vor allem die beiden schlankeren Stützen vom Inneren des Gebäudes stammen könnten, wie das Bild unten rechts zeigt, und erst nachträglich nach außen gesetzt wurden.

ehemalige Durchgänge

Am westlichen Teil der Südfassade sind ein Stahlträger, sowie Fugen zwischen den ursprünglichen Stützen und der nachträglich eingefügten Mauer zu erkennen, die auf einen ehemaligen Durchgang hinweisen. Vermutlich bestand dieser Durchgang schon seit Beginn, da links des Durchganges noch Reste einer in die Bestandmauern eingebauten Wand zu erkennen sind, die zeitgleich mit dem Sortiergebäude gebaut worden sein muss.

verschlossene Öffnungen

Sowohl innen als auch außen kann man ehemalige, heute vermauerte Öffnungen von Fenstern und Türen erkennen, die auf das Aussehen des Gebäudes zu verschiedenen Zeiten hinweisen.

Veränderte Aufstockung

Die Aufstockungen von 1925 und den 1930er Jahren müssen nachträglich verändert worden sein, da sie an Höhe verloren haben, wie man an den herabgesetzten Fenstern, sowie der fehlenden Verzierung unter den Fenstern erkennen kann. Außerdem ist auffällig, dass neben roten Ziegelsteinen hier auch graue Ziegel verwendet wurden.

Putz- und Farbreste

An verschiedenen Stellen ist zu erkennen, dass das Ziegelmauerwerk verputzt und wieder bemalt wurde. Auch hier ist unklar, ob die Fassade bereits zu Zeiten Jean Kellers verputzt war, oder ob es sich um eine spätere Maßnahme handelt. Es ist allerdings möglich, dass die Ziegel nie sichtbar waren, da beim Bau nur rote Ziegel verwendet wurden, allerdings die Farbigkeit des Gebäudes auf eine gelb-rote Fassade hinweist.

Das Erbe Jean Kellers

Durch zahlreiche Umbauten, Erweiterungen und kriegsbedingten Wiederaufbaumaßnahmen sind von Jean Keller selbst leider kaum Originalteile erhalten geblieben. Das Sortiergebäude, das heute lediglich in seinen Außenmauern dem ursprünglichen Bau Kellers entspricht ist ein Beispiel dafür, dass historische Hinterlassenschaften oftmals erst Jahre später anerkannt werden und an Wertschätzung gewinnen. Seither wurde nur wenig Wert darauf gelegt, diese Baukunst Jean Kellers zu würdigen und zu erhalten, sodass das ehemals prächtige Gebäude heute kaum mehr die einst repräsentative Bedeutung von Industriebauten erahnen lässt.

Die Westfassade nach 1925

Im Hintergrund ist die ursprüngliche Westfassade Jean Kellers zu erkennen, die überlagert wird von der Fassade nach den Aufstockungen von 1925 und den 1930er Jahren. Es ist deutlich zu erkennen, dass das Erscheinungsbild nur noch wenig mit dem Ursprungsgebäude von Keller zu tun hat. Nichts desto Trotz wurde das Prinzip der strengen Gliederung mit der bedeutenden Mittelachse fortgeführt und auch der Giebel erhielt, um die Achse weiter zu betonen, kleine Dächer auf den Sockeln und Türmen. Dadurch hebt er sich weiter von den Seitentrakten ab, wenn auch nicht mehr durch eine deutlich größere Höhe.

Die Westfassade nach 1945

Auf diesem Bild im Hintergrund zu erkennen ist die Fassade nach 1925, überlagert vom Erscheinungsbild des Sortiergebäudes heute. Hier wird besonders bei den seitlichen Trakten deutlich, dass die zentrale Mittelachse und die damit einhergehende Symmetrie an Bedeutung verloren hat. Das große über drei Stockwerke reichende Fenster ist verloren gegangen und die Fenster in den Seitentrakten wurden in ihrer Größe und Form verändert, sodass die Symmetrie des Gebäudes nicht länger gegeben ist. Außerdem haben die Aufstockungen an Höhe verloren, wodurch die Fassade von Jean Keller etwas angenähert wird, indem der mittlere Trakt wieder erhöht ist.